Ernst Troeltsch als Vordenker für Umbruchzeiten – Klaus-Mehnert-Preis für Dr. Johannes Bent
Dr. Johannes Bent hat am 13. März 2025 den Klaus-Mehnert-Preis von der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO) erhalten. Der Historiker wurde damit für seine an der Viadrina und der Universität Tallinn entstandene Dissertation mit dem Titel „Ernst Troeltsch and Eastern Europe: Interwar Interpretations and Applications of a German Philosopher of History“ ausgezeichnet.
Zum Auftakt der Jahrestagung der DGO erhielt Dr. Johannes Bent die mit 1.000 Euro dotierte Auszeichnung. „Jeder Promotionsstudent und jede Promotionsstudentin weiß, wie langwierig und kräftezehrend die Anfertigung einer Dissertation ist, und wie viele Hindernisse und Selbstzweifel auf dem Weg zur Abgabe zu überwinden sind. Daher ist es großartig, eine solche Anerkennung der eigenen Arbeit zu erhalten; das erfüllt mich mit großer Dankbarkeit“, ordnete Johannes Bent die Bedeutung des Preises für sich selbst ein. Er betonte, dass es das Engagement und die Unterstützung von Betreuer*innen, Stipendienprogrammen und Universitätsverwaltungen sowie Familie und Freund*innen gebraucht habe, um die Arbeit abzuschließen.

Dzmitry Brushko
Mit Ernst Troeltsch hatte sich Johannes Bent schon für seine Masterarbeit an der Viadrina beschäftigt – angeregt durch den Troeltsch-Experten Prof. Dr. Gangolf Hübinger. Die Dissertation ist nun im Rahmen eines binationalen Promotionsverfahren an der Viadrina und der Universität Tallinn in Estland entstanden, wohin Bent nach seiner Masterarbeit gewechselt war. „Der doppelte Standort war auf mehreren Ebenen produktiv: Die Arbeit hat sich nicht nur inhaltlich mit Ideentransfer beschäftigt, sondern sie ist hinsichtlich ihrer Fragestellung und Konzeption selbst ein Produkt von Ideentransfer, indem sie gleichermaßen vom kulturgeschichtlichen Denkstil der Viadrina und der Tallinner Art, intellectual history zu betreiben, geprägt ist“, beschreibt Bent die besondere Entstehung seiner Doktorarbeit. Er habe von den, nicht nur geografisch, sondern auch intellektuell unterschiedlichen Standorten profitiert, um sich mit europäischem Kulturtransfer auseinanderzusetzen. „Das war sehr anregend und ich möchte an dieser Stelle nochmals den Beteiligten aus Forschung und Verwaltung beider Universitäten, die dies ermöglicht haben, herzlich danken“, betont er. Von Seiten der Viadrina seien das neben Betreuer Gangolf Hübinger besonders Prof. Dr. Matthias Schloßberger als Gutachter sowie Kathrin Göritz und Dr. Philipp Zessin-Jurek, die das Cotutelle-Verfahren betreut haben.
Sein Betreuer Gangolf Hübinger, der Johannes Bent direkt nach der Preisverleihung in Berlin gratulierte, freut sich persönlich außerordentlich über die Auszeichnung für seinen früheren Studenten. „Seine Dissertation über den Theologen, Philosophen und Kulturhistoriker Ernst Troeltsch und dessen Bedeutung für die schwierigen Nationenbildungen in Ost- und Mitteleuropa nach dem Ersten Weltkrieg findet damit die Resonanz, die sie verdient“, so Hübinger. Bent habe für seine Studie russische, tschechoslowakische, ungarische, rumänische, polnische und baltische Originalquellen ausgewertet. „Ihm ist in der Breite der behandelten Nationalkulturen ein wirklich innovativer Beitrag zur politischen Ideengeschichte der Ost-West-Verflechtungen in der europäischen Zwischenkriegszeit gelungen“, formuliert Hübinger sein Lob.
Für seine Arbeit hat sich Bent mit den Umbrüchen nach dem Ersten Weltkrieg befasst – für ihn eine „faszinierende Phase der europäischen Geschichte“. „Die Zäsur des Weltkrieges führte überall in Europa, besonders aber im östlichen Europa zu einer umfassenden Neuordnung des historischen Wissens; überall ist man auf der Suche nach historischer Orientierung; überall fragt man sich, wie Geschichte zur Orientierung der eigenen Gegenwart und zur Zukunftsgestaltung umgeschrieben werden muss“, beschreibt Bent den Ausgangspunkt seiner Arbeit. Einer der Suchenden damals war der Geschichtsphilosoph Ernst Troeltsch (1865–1923), der in seinem Monumentalwerk „Der Historismus und seine Probleme“ von 1922 versuchte, Europa über eine „praktische Geschichtsphilosophie“ neu zu begründen. „Mich hat interessiert, wie dieses Buch durch die Geschichtskulturen des östlichen Europas zirkulierte, wie man also etwa in der frühen Sowjetunion oder der Tschechoslowakei dieses Buch las und es sich in eigenen Debatten aneignete“, sagt Bent. Am Beispiel der Troeltsch-Aneignung beschreibt er den Ideentransfer zwischen der deutschen und den ost- und ostmitteleuropäischen Geschichtskulturen.
Auch mehr als 100 Jahre später böten diese Prozesse aktuelle Anknüpfungspunkte. „Um nur einen offensichtlichen zu nennen: Spätestens seit der Zäsur des anhaltenden russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der verkündeten ,Zeitenwende‘ befinden wir uns nicht nur in Europa wieder in einer massiven Umbruchphase und vor die Herausforderung gestellt, Geschichte – insbesondere über die Region – umzuschreiben und Wissen neu zu ordnen“, erklärt Johannes Bent. Aus der Perspektive der radikal veränderten Gegenwart der Kriegs- beziehungsweise Vorkriegszeit des Jahres 2025 auf die Nachkriegszeit nach 1918 und die Neuordnungsprozesse zu schauen, nennt er den „Eintritt in eine spannungsgeladene, aber erhellende Konstellation“. Ernst Troeltsch könne hier als „herausragender Gewährsmann“ für die Umbruchphase nach 1918 eine zeitgeschichtliche Referenz sein.
Mit der Auszeichnung für Johannes Bent geht der Klaus-Mehnert-Preis bereits zum dritten Mal an einen Viadrina-Forschenden. 2019 war Dr. Clara Frysztacka für ihre Dissertation zum Thema „Zeit-Schriften. Die Konstruktion der historischen Zeit der Moderne“ ausgezeichnet worden. Im Jahr 2017 hatte Dr. Susann Worschech für ihre Arbeit über externe Demokratieförderung in der Ukraine den Preis erhalten.
Frauke Adesiyan
Zurück zum Newsportal
Beitrag teilen: