„Ich erwarte Kreativität und Neugier“ – Dr. Nataliia Steblyna kommt als erste KIU-Gastprofessorin an die Viadrina

Frankfurt (Oder), 

Im Sommersemester 2025 unterrichtet die ukrainische Journalistin und Medienwissenschaftlerin Dr. Nataliia Steblyna an der Viadrina. Im Rahmen der ersten Gastprofessur am Kompetenzverbund Interdisziplinäre Ukrainestudien (KIU) gibt sie Seminare über digitale Medienanalyse, russische Propaganda und der Kommunikation in Kriegszeiten. Hier spricht sie über ihren Werdegang, die besondere Situation ihrer Universität, die aus der Ostukraine weggezogen ist und darüber, was sie von den Studierenden der Viadrina erwartet.

Frau Steblyna, warum haben Sie sich für die Gastprofessur an der Viadrina beworben?

Es war keine leichte Entscheidung für mich, mein Land und meine Universität zu verlassen. Gleichzeitig bietet es aber auch eine große Möglichkeit. Soweit ich weiß, interessiert sich die Viadrina für die Ukraine und ihre Studierenden interessieren sich für ukrainische Kultur, Politik und Medien. Natürlich möchte ich gern meine Erfahrungen und mein Wissen teilen.

Daneben ist es für mich interessant, das deutsche Hochschulsystem kennenzulernen. In der Ukraine ist das Hochschulsystem seit dem Krieg in einer Krise: Die Studierenden sind abgelenkt, während sie die Nachrichten verfolgen. Andere müssen einen Job finden, um ihr Studium zu finanzieren. Meine Arbeit an der Viadrina wird mich – denke ich – inspirieren, neue Lehrmethoden kennenzulernen. Nach meinem Gastaufenthalt an der Viadrina könnte meine Universität mit der Viadrina kooperieren und meine Studierenden mit den Viadrina-Studierenden.

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Sie sind Professorin der Wassyl-Stus-Universität und leiten diese auch in Vertretung für den eigentlichen Direktor, der der ukrainischen Armee beigetreten ist. Was ist das für eine Universität?

Meine Universität ist eigentlich die Nationale Wassyl Stus Donezk-Universität, aber im Moment ist sie an einen anderen Ort migriert. Derzeit gibt es zwei Donezk-Universitäten, eine pro-russische vor Ort mit einem Teil des Personals, das sich entschieden hat, mit den russischen Besatzern zu kooperieren. Ein anderer Teil des Personals hat 2014 Donezk verlassen und ist nach Kyjiw und Winnytsja gezogen. Im Herbst 2014 entschieden sie sich, ihre Lehr-Aktivitäten wieder aufzunehmen. Das war nicht ganz einfach. Es wurde nicht ernst genommen, dass man eine gute Ausbildung an einer migrierten Universität erhalten könne. Man braucht ein Gebäude; man benötigt Klassen, technische Ausstattung und Lehrende. Doch meine Kolleg*innen haben all diese Schwierigkeiten überwunden; ich bin sehr stolz, seit 2019 Teil dieser Universität zu sein. Seit fünf Jahren arbeite ich nun in Winnytsja.

In welcher Situation ist die Universität aktuell?

Meine Kolleg*innen aus der Ostukraine kannten die Erfahrungen des Krieges ja schon seit 2014. Sie konnten uns also dabei unterstützen, im Februar 2022 das Bildungssystem neu zu organisieren und online zu unterrichten. Wir sind keine große Universität; wir haben zirka 3.000 Studierende mit sechs Fakultäten.  

Was können die Studierenden der Viadrina von Ihnen als Gastprofessorin erwarten?

Mein erster Kurs beschäftigt sich mit digitaler Datenanalyse, einfach, um zu erklären, wie die Analyse von Texten mit dem Computer funktioniert. Die Master-Studierenden werden davon profitieren, große Datenmengen zu analysieren, während sie ihren Abschluss vorbereiten. Ich werde ihnen die Grundlagen vermitteln. Ohne dass sie Vorkenntnisse über Coding, Styblex und andere Werkzeuge haben müssen, werden sie interessante Resultate erzielen, während sie Daten analysieren, visualisieren und interpretieren.

Im zweiten Kurs geht es um Propaganda. Propaganda verändert die Art des Denkens. Sie beeinflusst Menschen, wie zum Beispiel Donald Trump, der auch Ziel der russischen Propaganda ist. Es geht mir also nicht nur darum, wie man Propaganda erkennen kann, sondern was man mit diesem Wissen anfangen kann, auch für die Zeit des Wiederaufbaus nach diesem Informationskrieg.

Mein dritter Kurs beschäftigt sich mit Krisenkommunikation, also wie sich während des Krieges oder während anderer Krisen kommunizieren lässt. Das werde ich am Beispiel der Ukraine erklären.

Und was erwarten Sie von Ihren Studierenden?

Ich erwarte vor allem Kreativität und Neugier; das ist mir extrem wichtig. Und ich erwarte, dass die Studierenden Interesse mitbringen. Sie müssen nicht viel über die Ukraine wissen, sondern einfach an diesen Themen interessiert sein. Und daneben erwarte ich natürlich, dass die Studierenden ihre Hausaufgaben machen und Essays schreiben, für die sie nicht Künstliche Intelligenz benutzen.

Sie sind heute eine Medienforscherin mit den Schwerpunkten Propaganda, Konflikt-Journalismus und Computeranalyse. Wie sind Sie zu dieser Expertise gekommen?

Nach meinem Journalismus-Studium war ich zunächst bei einer ukrainischen Zeitung angestellt. Ich begann meine Karriere also als Journalistin und bis heute ist es mir sehr wichtig, die professionellen Standards zu begreifen, den Verpflichtungen zur Wahrheit nachzukommen – eben das ganze Bild zu zeichnen. Aber in der Ukraine war es nicht einfach Journalistin zu sein. So habe ich mich entschieden, ein Ph.D.-Programm an der Universität in Odesa zu absolvieren; in meiner Doktorarbeit beschäftigte ich mich auch mit Journalismus. Ich wollte gern stärker quantitative Ansätze benutzen. 2019 bekam ich die Möglichkeit, mich für eine Postdoc-Stelle an der National-Universität Donezk zu bewerben, und so konnte ich den Kurs über Computeranalyse mit diesem Postdoc-Programm starten; ich hatte Zeit, das Coding zu begreifen, Python zu studieren und mit verschiedenen Programmen zu arbeiten. Es war extrem aufregend, für die Analyse von Millionen von Texten aus ukrainischen, russischen und belarussischen Medien Computerprogramme zu benutzen und all diese verrückten Modelle zu bauen, die ich so sehr liebe. Der jetzige Viadrina-Kurs über Computeranalyse hat also seine Ursprünge in meiner Postdoc-Forschung.

Als Medienwissenschaftlerin kooperiere ich neben meiner Tätigkeit an der Universität seit 2015 mit einer ukrainischen NGO, dem „Pylyp Orlyk Institute for Democracy“. Dort analysieren wir regionale professionelle Zeitschriften und Online-Medien sowie nicht-professionelle Foren wie Telegram. Unsere Forschung widmet sich Manipulationen und russischer Propaganda. Aufgrund des russischen Informationskrieges haben wir viel gesehen. Die russischen Operationen auf dem Boden sind immer verbunden mit Informationsoperationen. Das kann man also erkennen und interpretieren. Ich hoffe, den Studierenden zu zeigen, wie man Daten interpretiert, wie man all diese Manipulationen sieht und natürlich, wie man sich vor Schaden schützt.

Welche persönlichen Interessen haben Sie über die Forschung und Lehre hinaus?

Ich bin Hobby-Musikerin; hier in der Ukraine bin ich Mitglied einer Rockband mit anderen Leuten aus meiner Universität. In den vergangenen fünf Jahren hatten wir nur wenige gemeinsame Proben. Nach 2022 haben wir verstanden, dass unsere Leute zwar Informationen brauchen, Medien und all das, aber sie brauchen auch Musik. Also haben wir mehrere Songs aufgenommen und mehrere Gigs vor Freiwilligen, der ukrainischen Armee oder nur im Pub, wo die Leute Bier trinken, gespielt. Ich spiele Akkordeon, Harmonika und Bassgitarre. Ich bin also Musikerin, genieße Rockkonzerte, aber auch klassische Musik. In Deutschland Bach zu hören, wäre großartig.

Jeannette Brabenetz

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