30 x Viadrina & ich – „Wir haben tolle Studierende und das sage ich nicht nur so, das meine ich wirklich“
In der Reihe „30 x Viadrina & ich“ erzählt Dr. Estela Schindel über ihre Arbeit am Institut für Europa Studien (IFES), was die Viadrina und ihre Studierenden besonders macht und was sie am akademischen System in Deutschland kritisch sieht. Anlässlich von 30 Jahren Europa-Universität berichten 30 Menschen – vom Erstsemester bis zur emeritierten Professorin – welche Rolle die Viadrina in ihrem Leben spielt.
Estela, wie sieht dein Alltag an der Viadrina aus?
Ich habe als wissenschaftliche Geschäftsführerin des Viadrina Instituts für Europa Studien (IFES) einen sehr abwechslungsreichen Arbeitsalltag, was mir sehr gut gefällt. Einerseits gibt es die Lehre und Forschung – ich finde wichtig, dass beides in engem Zusammenhang steht. Ich habe zwei Seminare pro Semester und unterrichte sehr gern. Auch die Betreuung von Masterarbeiten finde ich einen spannenden, immer lehrreichen Teil der Lehre. Wir haben tolle Studierende und das sage ich nicht nur so, das meine ich wirklich!
Was macht die Viadrina-Studierenden denn aus?
Sie sind motiviert, engagiert, kritisch – es macht wirklich Spaß mit ihnen zu arbeiten. In jedem Seminar gibt es immer einen Kern an Studierenden, die gut und engagiert mitarbeiten. Bisher kannte ich es von anderen Unis, dass 40 oder auch mal 50 bis 60 Prozent richtig dabei waren. An der Viadrina sind es 80 bis 90 Prozent der Studierenden – und das ist toll!
Was machst du sonst noch am IFES?
Vor Kurzem habe ich meine Habilitation im Fach Soziologie abgeschlossen. Und dann gibt es die Arbeit am Institut, die mir auch viel Spaß macht. Die Herausforderung am Institut ist es, eine Plattform für interdisziplinäre, kritische Europastudien zu schaffen: Mit den Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Disziplinen gilt es, gemeinsame Themen, ein gemeinsames Vokabular und Forschungsfragen zu finden. Wir haben öffentliche Aktivitäten mit externen Gästen sowie Arbeit in kleinen internen Kolloquien, in denen wir gegenseitig unsere aktuellen Arbeiten lesen und kommentieren; das können Drittmittelanträge, Qualifikationsarbeiten oder Aufsätze sein.
Lehrt, forscht und koordiniert die wissenschaftliche Arbeit am Viadrina Institut für Europa Studien (IFES):
PD Dr. Estela Schindel; Foto: Heide Fest
Wann bist du an die Viadrina gekommen?
Vor fünf Jahren – im Mai 2017.
Was hattest du vorher über die Viadrina gehört?
Das Profil der Viadrina hat mich schon immer interessiert. Daher hatte ich auch schon Kontakt gesucht, lange bevor ich hier angefangen habe zu arbeiten. Mein Forschungsprojekt der vergangenen sieben, acht Jahre hatte mit Grenzen zu tun und mich haben sowohl das kulturwissenschaftliche Profil als auch der Schwerpunkt Grenzen und der Standort der Universität angesprochen. Also war ich drei oder vier Mal zu Gast bei Kolloquien oder Tagungen des Viadrina Centers B/ORDERS IN MOTION und bin so schon in Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen gekommen, bevor ich mich hier beworben habe.
Wie war dann dein erster Eindruck? Hat sich dein Blick auf die Viadrina mit der Zeit verändert?
Mir hat vor allem die Arbeitsatmosphäre sehr gut gefallen. Es gab so ein gewisses Gefühl, an einem gemeinsamen Projekt beteiligt zu sein und eine angenehme Art im Umgang miteinander. Ich habe das Gefühl, dass davon in den vergangenen Jahren etwas verlorengegangen ist, auch durch die Pandemie. Ich hoffe sehr, dass dieses gemeinschaftliche Gefühl wiederkommt.
Haben sich die Studierenden auch verändert?
Die Studierenden sind wegen der Pandemie, wie wir alle, natürlich auch sehr müde und erschöpft. Aber ich bin erstaunt zu sehen, dass sie trotzdem – oder vielleicht auch gerade deshalb – sehr motiviert sind.
Denkst du, dass die Viadrina etwas hat, was andere Unis nicht haben?
Der Standort und dadurch das binationale Profil sind natürlich einzigartig. Ich habe lange in Konstanz gearbeitet; das ist zwar auch eine Grenzstadt, aber sie hat keine Grenzuni. An der Uni Flensburg gibt es Kontakt zu Dänemark – aber das, was wir hier mit der Doppelstadt und dem Collegium Polonicum haben ist absolut einzigartig.
An welchen Viadrina-Moment denkst du gern zurück?
2020, nach dem ersten Digitalsemester wegen der Pandemie, hatte die Viadrina-Präsidentin Julia von Blumenthal zu einem Grillfest eingeladen. Und obwohl es kurz vor Beginn dann angefangen hatte zu regnen, waren alle da und so froh, sich wieder in Person zu sehen. Inzwischen haben wir zwei weiteren Grillpartys gehabt, aber diese eine nach den ersten Monaten Pandemie fand ich aus dem Grund sehr besonders.
Wiedersehen nach den ersten Monaten Pandemie-Lockdown: erstes Viadrina-Grillen 2020 im Regen.
Foto: Heide Fest
Was wünschst du der Viadrina zum Jubiläum?
Ich wünsche mir sehr, dass es wieder ein lebendiges Campusleben gibt; dass die Viadrina wieder ein Ort ist, an dem wir gern sind, an dem auch die Studierenden wieder gern sind. Und dass wir das schöne Gefühl des Miteinanders nicht verlieren oder wiederfinden.
Auch zwischen dem sogenannten wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Personal würde ich mir mehr Kommunikation wünschen. Ich empfinde es manchmal so, als wären das zwei parallele Welten und das ist schade.
Was würdest du am deutschen Hochschulsystem gern ändern?
Dadurch, dass ich in Argentinien akademisch sozialisiert wurde und dadurch ein anderes Universitätssystem gut kenne, kann ich einiges am hiesigen System relativieren. In den deutschen Universitäten spielen die institutionellen Hierarchien eine sehr wichtige Rolle. Es gibt eine starke Trennung nach Statusgruppen die nicht nur funktional ist, sondern sich oft auch inhaltlich widerspiegelt. Das betrachte ich mit einer gewissen kritischen Distanz. Es erschwert den Alltag und schafft für die Produktion von Wissen einen wenig fruchtbaren Boden. Aber das ist keine Besonderheit der Viadrina, das ist überall in Deutschland so.
(UP)