30 x Viadrina & ich: „Wir waren irgendwie auch Versuchskaninchen.“
In der Reihe „30 x Viadrina & ich“ erzählt Ewa Bielewicz-Polakowska wie es war, als eine der Ersten Kulturwissenschaften an der Viadrina zu studieren und warum die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und Polen bis heute ihre PR-Arbeit am Collegium Polonicum (CP) bereichern. Anlässlich von 30 Jahren Europa-Universität berichten 30 Menschen – vom Erstsemester bis zur emeritierten Professorin – welche Rolle die Viadrina in ihrem Leben spielt.
Ewa Bielewicz-Polakowskas Beziehung zur Viadrina ist so alt wie der Studienbetrieb an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät: Als 1993 die ersten Studierenden für Kulturwissenschaften immatrikuliert wurden, war sie eine davon. Eigentlich hatte sie schon ein Germanistikstudium in Zielona Góra begonnen, doch als sie in einer Zeitung vom Aufbau der Viadrina las, dachte sie sich: „Wow, das klingt gut. Deutsch in Deutschland zu lernen, wäre noch besser.“ Ein weiteres Argument für das neue Studium: polnische Studierende erhielten ein Stipendium von 300 Mark monatlich. „Das war viel Geld damals“, erinnert sich Ewa Bielewicz-Polakowska.
Auf das Studium der Kulturwissenschaften an der Viadrina folgte direkt die Anstellung im Collegium Polonicum: Ewa Bielewicz-Polakowska. Foto: Heide Fest
Sie zog nach Słubice, auch wenn ihr die Grenzstadt damals ziemlich trostlos vorkam. Kulturell sei nicht viel los gewesen aufgrund der Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze bildeten sich lange Schlangen und Zigaretten-Schmuggler fanden immer neue, abenteuerliche Wege. Ewa Bielewicz-Polakowska erzählt das alles bei Kaffee und polnischem Gebäck in ihrem großzügigen Büro in Słubice mit großen Fenstern, die den Blick auf die Grenze zwischen Deutschland und Polen freigeben. Heute ist diese Grenze auf der Stadtbrücke zwischen Frankfurt (Oder) und Słubice beinahe unsichtbar. Die Grenzanlagen sind längst abgerissen, niemand steht mehr an. „Manchmal, wenn ich über die Brücke spaziere, denke ich mir, wie schnell man doch vergisst“, sagt sie nachdenklich mit Blick in Richtung Grenze.
Daran, wie das Studienleben vor fast 30 Jahren war, kann sie sich aber noch gut erinnern. Etwas chaotisch sei es losgegangen, ständig habe sich die Studienordnung geändert. Auch habe man anfangs nicht aus so vielen interessanten Kursen auswählen können, wie zum Ende ihres Studiums 1998. „Wir waren irgendwie auch Versuchskaninchen“, sagt sie rückblickend. Einige Dozentinnen und Dozenten hätten nicht so recht gewusst, wie die polnischen Studierenden zu bewerten sind. „Ich habe hier manchmal Noten nur für meine Notizen bekommen. Aber mit der Zeit haben sie gemerkt, dass sie von uns auch mehr erwarten können“, erinnert sich Ewa Bielewicz-Polakowska. Neben vielen verschiedenen, teilweise provisorischen Seminarräumen in Frankfurt (Oder) habe sie damals viel Zeit im Multimediacenter im heutigen Audimax verbracht. „Dort standen ein paar Computer und wir haben das Internet kennengelernt. Crazy, das waren die Anfänge“, sagt sie und schüttelt lachend den Kopf.
Gewohnt hat sie in all den Jahren immer in Słubice – „jedes einzelne Wohnheim“ habe sie kennengelernt. Partys im Studierendenclub Witkacy und endlose Bridge-Abende hat sie in guter Erinnerung. Im September 1998 schloss Ewa Bielewicz-Polakowska ihr Studium ab und hörte kurz darauf von einer Annonce für die Öffentlichkeitsarbeit im Collegium Polonicum, das im Mai 1998 in das nagelneue Gebäude mit Blick auf die Oder gezogen war. Sie überzeugte bei allen Tests und Gesprächen und begann im November 1998 am Collegium Polonicum zu arbeiten. „Ich hatte drei Monate Einarbeitungszeit und dann hat man mich in meinem Bereich allein gelassen“, fasst sie diese Zeit zusammen. Viel habe sie von ihrem Chef Dr. Krzysztof Wojciechowski sowie ihren Kolleginnen und Kollegen gelernt, die auch heute noch ein familiäres Team am Collegium Polonicum bilden. „Ich war von Anfang an in alles involviert. Alle aus unserem kleinen Team hatten großen Einfluss, wir haben direkt die Effekte unserer Arbeit gesehen“, erzählt sie immer noch begeistert von den Anfangsjahren. Auch nach beinahe einem Vierteljahrhundert scheint Ewa Bielewicz-Polakowskas Freude an ihrer Arbeit ungebrochen. Mit größter Freundlichkeit, Flexibilität und Professionalität führt sie Gäste im Haus, organisiert Veranstaltungen und Konferenzen, spricht mit Medien, regionalen Akteurinnen und Akteuren und Forschenden. Man spürt schnell, dass sie die Begegnung mit anderen genießt. Zudem lässt sie sich bei aller Routine immer wieder auf neue Herausforderungen ein. Berufsbegleitend hat sie kürzlich ein Aufbaustudium für Übersetzerinnen und Übersetzer abgeschlossen, lernt online Chinesisch und belegt Webinare über Social Media. Für das Jubiläum vom CP lässt sie Graffiti sprühen und dreht einen Imagefilm. Das Collegium Polonicum ist für sie mehr denn je ein lebendiges Symbol für die deutsch-polnische Verständigung. „Wir sind das gemeinsame Kind von unserer Mutter Viadrina und unserem Vater, der Adam-Mickiewicz-Universität Poznań – das ist unsere Identität“, ist sie überzeugt.
Auf die Frage, wie diese Verständigung in der Doppelstadt ganz praktisch funktioniere, kommt sie schnell weg von den viel fotografierten Besuchen hochrangiger Politikerinnen und Politiker am Collegium Polonicum und erzählt von deutschen Familien auf der Słubicer Eisbahn und von ihrer Tochter, die nach deutscher Kita und Grundschule nun auch ein Frankfurter Gymnasium besucht. „Es gibt noch viele Stereotype und auch Kolleginnen und Kollegen von der Viadrina, die noch nie bei uns waren“, weiß sie. Und trotzdem spürt sie eine Veränderung hin zu mehr Offenheit und Kontakten. „Die wichtigste Erkenntnis ist, dass jemand vielleicht anders arbeitet, isst oder sich benimmt, dass das aber nicht schlecht ist. Man sollte mit offenen Augen und Herzen davon lernen“, sagt sie ganz im Sinne der interkulturellen Kommunikation – auch darin ist sie ausgebildet. In ihrer Arbeit seien die deutsch-polnischen Unterschiede immer wieder zu spüren und für sie ein Anlass, das Beste aus jeder Kultur herauszunehmen. „Für mich ist es keine Überraschung, wenn jemand nächste Woche eine Konferenz organisiert und heute einen Raum dafür anfragt“, gibt sie ein Beispiel, das in einer deutschen Hochschule schwer denkbar ist. Früher sei sie regelrecht schockiert gewesen, wenn jemand anderthalb Jahre vor einem Event Anfragen stellte. Heute gibt sie auch gelassen Auskunft, wenn jemand für eine Veranstaltung im November 2024 den Inhalt eines Lunchpaketes wissen will. „Wir haben eben andere Zeitvorstellungen“, resümiert sie gelassen und verzichtet auf jede Bewertung.
(FA)