30 x Viadrina & ich: „Bars, quatschen, feiern – das habe ich alles schon hinter mir“
In der Reihe „30 x Viadrina & ich“ erzählt Lava Mouslam, wie sie mit Baby auf dem Arm einen Deutschtest bestand, der ihr Leben ändern sollte. Die Studentin und künftige Inhaberin eines Kunst-Cafés empfindet ein großes Verantwortungsgefühl für ihre neue Heimatstadt Frankfurt (Oder). Anlässlich von 30 Jahren Europa-Universität berichten 30 Menschen – vom Erstsemester bis zur emeritierten Professorin – welche Rolle die Viadrina in ihrem Leben spielt.
Es war ein warmer Sommertag 2018, als Lava Mouslam mit ihrem viermonatigen Sohn Bayat auf dem Arm erstmals die Viadrina betrat, um im Sprachenzentrum einen Deutschtest abzulegen. Ihr Ziel: ein Platz im Welcome-Programm der Viadrina, mit dem Geflüchtete auf ein Studium vorbereitet werden sollten. Als ihr und ihrem Mann kurz nach dem Test gesagt wurde, dass sie ins Programm aufgenommen werden, war ihr klar: „Das ist mein erster Schritt in ein richtiges Leben. Es war wie ein Geburtstag“. Tatsächlich spielt alles, was Lava Mouslam gern über ihr Leben erzählt, in den wenigen Jahren seitdem. Ihre Jugend in Syrien, das Maschinenbau-Studium in Aleppo, die Bomben im Jahr 2014, die Flucht nach Europa, die Asylbewerberheime in Eisenhüttenstadt, Kremmen und Potsdam – all das ist für sie „eine andere Periode“ und längst vorbei. Sie ist zu Hause in Frankfurt (Oder).
Zwischen Studium, Kunst und Geschäftsgründung: Lava Mouslam in ihrem Atelier. Foto: Heide Fest
Der Weg dahin war nicht einfach. Während der ersten Wochen im Gästehaus der Viadrina waren das Geld und der Schlaf knapp, die Situation stellte die kleine Familie auf eine harte Probe. „Unser Kind war klein, er weinte die ganze Zeit. Gleichzeitig wollte ich meine Aufgaben für den Deutschkurs gut erledigen“, erinnert sich Lava. Doch an eine Baby-Pause dachte sie nicht. „Ich will immer alles gleichzeitig machen“, erklärt sie sich ihren Schaffensdrang und sagt, dass sie unter Druck aufblühe. Sie fand eine Wohnung für ihre kleine Familie, bestand nach mehreren nervenzehrenden Versuchen ihre Deutschprüfung und begann ihr Studium der Internationalen Betriebswirtschaftslehre. „Das war nochmal eine ganz andere Welt, alle Studenten sind sehr jung, sie wollen in Bars, quatschen, feiern – das habe ich alles schon hinter mir“, sagt sie lächelnd. Und so bildeten sich ihre Freundeskreise vor allem abseits des Campus‘. Sie gibt Kreativ-Workshops im Eltern-Kind-Zentrum, lernt andere Mütter und Väter kennen, stellt ihre Kunst in städtischen Galerien aus.
Was auf dem Viadrina-Campus besonders gefällt: Ihre Herkunft spielt hier keine Rolle. „An der Viadrina kommen so viele von überall her, es ist normal und niemand fragt mich, woher ich komme“, beschreibt sie das für sie wohltuende Gefühl. Sie empfinde sich nicht als Geflüchtete oder als Vertriebene des Krieges, mit der man Mitleid haben sollte. Daher suchte sie privat auch nie die Nähe zu anderen Geflüchteten, mit denen sie das Welcome-Programm begonnen hat. Wenn überhaupt, möchte sie ihre Geschichte als die einer Bereicherung erzählen: „Eigentlich will ich vergessen, was ich erlebt habe. Aber die Erfahrungen und die Gefühle machen mich irgendwie auch reicher.“
Erlebbar wird dieser Reichtum in den Bilderwelten, die die Künstlerin Lava Mouslam farbenprächtig auf großformatige Leinwände bannt. Seit Anfang des Jahres hat sie ihre eigenen Atelier- und Ausstellungsräume in der städtischen Galerie B – für sie ein Schritt in „ein weiteres neues Leben“. Den nächsten geht sie bereits an: Gemeinsam mit einer Kommilitonin arbeitet sie seit Monaten an dem Konzept für ein Kunst-Café in der Fußgängerzone der Großen Scharrnstraße. „Dort wird es unsere Kultur, unseren Kaffee, unsere Süßigkeiten geben“, schwärmt sie. Direkt nebenan plant sie einen Spielraum für Kinder, um auch Eltern einen ruhigen Cafébesuch zu ermöglichen. Zum einen verbindet Lava Mouslam mit dieser Gründung das Wissen ihres „trockenen Studiums“ mit ihrer Leidenschaft für die Kunst. Andererseits ist es auch ihre Art, ihrer neuen Heimat Frankfurt (Oder) etwas zurückzugeben. „Das ist mir sehr ernst; ich sehe, dass in dieser Stadt etwas fehlt“, sagt sie. „Ich bin hier und ich bin gut ausgebildet. Ich habe ein Gefühl der Verantwortung dafür, Veränderungen zu schaffen.“ Eine der Veränderungen, die ihr vorschweben ist es, Brücken zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Frankfurt (Oder) zu bauen. Für wirklichen kulturellen Austausch fehlt es ihrer Überzeugung nach an Gelegenheiten für Begegnung. Diese möchte sie in ihrem Café schaffen – und am liebsten irgendwann die Chefin einer Kette mit ihren Läden sein. „Es ist viel Druck, aber am Ende des Tages ist es das, was mich glücklich macht“, sagt sie.
(FA)