30 x Viadrina & ich: „Die Bewerbung an der Viadrina war ein Zufallsprodukt“
Für die Reihe „30 x Viadrina & ich“ berichtet Martina Seidlitz davon, wie sie beim Einstellungstest 1993 erstmals eine Computer-Maus in der Hand hatte. Heute verantwortet sie im Dekanat der Juristischen Fakultät unter anderem die Social-Media-Auftritte. Anlässlich von 30 Jahren Europa-Universität erzählen 30 Menschen – vom Erstsemester bis zur emeritierten Professorin – welche Rolle die Viadrina in ihrem Leben spielt.
Martina, am 1. Februar 1993 war dein erster Arbeitstag an der Viadrina, hast du als Frankfurterin die Gründung und den Aufbau der Viadrina in den Monaten davor beobachtet?
Ehrlich gesagt nicht, ich habe das gar nicht mitbekommen. Ich hatte vorher im Kongresshotel gearbeitet und davor in der Bezirksparteischule, dort, wo heute das Wohnheim Logenstraße ist. Die Bewerbung an der Viadrina war eher ein Zufallsprodukt; eine Kollegin hatte mir erzählt, dass da gesucht wird. Im Hotel war ich Sekretärin der Geschäftsführung und gleichzeitig Betriebsratsmitglied, was ein bisschen miteinander kollidierte – deswegen war es der richtige Zeitpunkt zu gehen.
Hunderte Postkarten aus aller Welt schmücken den Arbeitsplatz von Martina Seidlitz. Studierende sowie Kolleginnnen und Kollegen schicken sie ihr – manchmal mit und manchmal ohne Aufforderung. Foto: Heide Fest
Kannst du dich an das Bewerbungsgespräch erinnern?
Total! Professor Mohr von der Juristischen Fakultät ließ mich einen Test machen: Er hat mit Bleistift auf kleinkariertem Papier einen englischen Text geschrieben und ich sollte das abtippen. Da habe ich zum ersten Mal an einem Computer mit einer Maus gesessen. Beim Gespräch gab es dann Fragen, die würde heute keiner mehr stellen – so was wie: Sie haben drei Kinder, was machen Sie denn, wenn eins krank ist?
Und es hat geklappt …
Ja, das ging schnell. Wir hatten damals selbst kein Telefon und ich bin dann abends zur Telefonzelle gegangen und habe meine Eltern angerufen, weil ich deren Telefonnummer hinterlassen hatte. Ich hatte es ihnen vorher nicht erzählt. Da hatte die Uni aber schon angerufen und gesagt, dass ich die Stelle habe.
Was war von der Viadrina schon da, als du kamst – knapp anderthalb Jahre nach der Gründung? Es war eine absolute Baustelle hier im Hauptgebäude. Ich habe noch ein Foto aus der Zeit, da kann man sich angucken, wie hinter mir die Tapete von der Wand fiel (siehe rechts). Später sind wir rausgezogen in den Mühlenweg; das Studentenwerk hatte eine Cafeteria in einem Würfelhaus gleich neben der Tankstelle und da hatte unser Lehrstuhl eine Anderthalb-Raum-Wohnung.
Worin bestand deine Arbeit der ersten Jahre? Ganz viel abtippen. Ich war auch oft in der Bibliothek und habe kopiert. Außerdem habe ich mich am Anfang vor allem in den Computer eingefuchst. Als im Sommer die Lehrveranstaltungen losgingen, habe ich die Lehrmaterialien vorbereitet. Nach den Klausuren musste ich dann Scheine ausstellen; ich wusste gar nicht, was Scheine überhaupt sind. Die wurden damals per Hand ausgefüllt; das war das Erste, was ich abgeschafft habe. Da haben wir erstmal einen ordentlichen Seriendruck draus gemacht. In den ersten Jahren waren es doch eher Sekretariatsaufgaben.
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Benutzt du heute noch den Begriff Sekretärin für dich?
Ungern, wirklich ungern, weil die tägliche Arbeit damit nicht mehr viel zu tun hat. Ich sage eher Verwaltungsangestellte. Zu meinen Aufgaben gehören ja auch Prüfungsorganisation, Webseiten bearbeiten, in den Lernplattformen Material zur Verfügung stellen und so weiter. Ein kleiner Teil sind noch Termine und E-Mails, aber es ist viel mehr. Oft wird unterschätzt, welches Spektrum an Aufgaben zu bewältigen ist.
Was macht dir am meisten Spaß in deinem Job?
Das ist die Kommunikation mit den Studierenden auf den verschiedenen Kanälen, über Facebook, Instagram, die Webseite, die Studysite und den Newsletter – vor allem dieses Kreative in Sachen Social-Media. Ich schreibe, fotografiere und mache die Grafiken selbst, das ist zwar anstrengend, man muss den Algorithmus schließlich irgendwie bedienen. Aber es macht auch tierisch Spaß. Und manchmal funktionieren die banalsten Sachen am besten. Als ich angefangen habe mit Facebook, hing mal eine Fledermaus im Flur des Hauptgebäudes und das Foto davon hat ordentlich Likes gebracht.
Hat sich das Verhältnis zu den Studierenden in den Jahren geändert?
Auch wenn wir gewachsen sind, habe ich immer noch ganz viel mit Studierenden zu tun. Die Studierenden müssen z. B. für BAföG-Anträge mit ihren Leistungsübersichten zu mir kommen und ich fülle dann das ominöse Formblatt 5 aus. Früher sind sie auch wegen aller möglichen Fragen zum Studium zu mir ins Büro gekommen. Ich habe immer behauptet, irgendwo in diesem Hauptgebäude hängt ein Schild: Wenn Sie eine Frage zum Jurastudium haben, gehen sie in die 120. Manche Studierende begleite ich über mehrere Semester. Ich hatte einen, da dachte ich: Du lieber Himmel! Er kam gefühlt jedes Semester und hat gefragt: Und was soll ich jetzt machen? Eines Tages kam er und sagte, er hat sein Examen. Diese Kontakte sind leider weniger geworden, vieles klärt sich jetzt über Instagram. Trotzdem bin ich mit einigen ehemaligen Studierenden immer noch gut vernetzt.
Über deine eigentlichen Aufgaben hinaus engagierst du dich auch in vielen Gremien. Wie kam es dazu?
1995 bin ich zum ersten Mal in den Fakultätsrat gewählt worden und seitdem durchgängig dabei, obwohl man alle zwei Jahre gewählt werden muss. Ich bin auch im Prüfungsausschuss fürs Rechtsstudium. Zuerst nur in beratender Funktion, weil ich immer in allen Kommissionen saß, wenn etwas am Studium geändert wurde. Irgendwann habe ich die Frage gestellt, warum nicht grundsätzlich alle Statusgruppen in Prüfungsausschüssen vertreten sind. Diese Frage wurde dann im Senat behandelt mit der Konsequenz, dass inzwischen natürlich auch die Statusgruppe der nichtwissenschaftlichen Beschäftigten vertreten ist, und zwar mit Stimmrecht. Das war am Anfang nicht mein Ansinnen, aber umso besser.
Wie verstehst du deine Aufgabe an der Viadrina?
Wir begleiten die Studierenden bestmöglich durch ihr Studium und sind für sie da. Das darf man nicht aus dem Blick verlieren und alles Neue nur als Belastung empfinden. Klar hat zum Beispiel Corona einen riesigen Aufwand gebracht, vor allem bei den Prüfungen. Aber da mussten wir alle durch. Es geht darum, Lösungen zu finden und nicht immer nur Probleme zu sehen.
Inzwischen arbeite ich an so vielen Stellen mit, von der Akquise bis zum Webrelaunch, dass ich einen guten Überblick und das Verständnis habe: Ohne Studenten können wir auch zumachen. Für manche Studierende sind wir nicht die erste Wahl; wenn sich für sie die Möglichkeit ergibt zu wechseln, dann wechseln sie. Diese Studierenden müssen wir in der Zeit, in der sie bei uns sind, für unsere Uni begeistern.
(FA)