„Enthusiasmus und Wissbegierde haben auf beiden Seiten nachgelassen“ – Podiumsdiskussion über die deutsch-polnischen Beziehungen anlässlich der Viadrina-Preisverleihung

Im Anschluss an die Verleihung des 23. Viadrina-Preises am 16. Mai 2024 sprach der Preisträger Prof. Dr. Klaus Ziemer bei einer Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Elżbieta Opiłowska und Prof. Dr. Stefan Garsztecki über die Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen seit Polens EU-Beitritt 2004. Dabei ging es um grenzüberschreitende Zusammenarbeit, politische Beziehungen und um die Frage, wie eine symbolische Wiedergutmachung aussehen könnte. Der Dekan der Kulturwissenschaftlichen Fakultät Prof. Dr. Timm Beichelt moderierte den Abend.

Gleich zu Beginn der Podiumsdiskussion plädiert Klaus Ziemer dafür, den Rückblick auf die deutsch-polnischen Beziehungen nicht erst 2004 beginnen zu lassen. Ein grundlegender Paradigmenwechsel hätte bereits 1989 stattgefunden, als der damalige Ministerpräsident Polens Tadeusz Mazowiecki in einer Regierungserklärung die deutsch-französischen Beziehungen als Vorbild für die deutsch-polnischen Beziehungen ausmachte. Anfang der 1990er-Jahre seien dann die Grundlagen für den Aufbau völlig neuer Beziehungen gelegt worden, insbesondere durch den Nachbarschaftsvertrag vom 17. Juni 1991. Seitdem habe es viel Bewegung im deutsch-polnischen Verhältnis gegeben. Klaus Ziemer stellt dabei auch fest, wie sehr sich die Rolle Polens veränderte: „Im Vergleich zur Zeit vor 20 Jahren besitzt Polen heute in den Beziehungen zu Deutschland ein ganz anderes Gewicht, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch.“

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Prof. Dr. Elżbieta Opiłowska, Leiterin des Zentrums für Regional- und Grenzlandforschung der Universität Wrocław, unterstreicht, dass der EU-Beitritt Polens dennoch eine wichtige Zäsur gewesen sei. Die Zeit sei damals von einem Enthusiasmus über die Europäische Integration geprägt gewesen, aber auch von großer Unsicherheit. Laut Klaus Ziemer hätten sich die politischen Beziehungen dann unter Ministerpräsident Donald Tusk und Bundeskanzlerin Angela Merkel nochmal merklich verbessert. Die erneute Wahl der PiS-Regierung 2015 habe dann aber wieder zu einer deutlichen Abkühlung geführt. „Die Wahrnehmung von PiS in Deutschland war fatal“, stellt Prof. Dr. Stefan Garsztecki, Professor der Politologie an der Technischen Universität Chemnitz, fest. Damalige Einschätzungen, dass Polen unter PiS keine Demokratie mehr gewesen sei, findet Stefan Garsztecki zu stark. Aber diese Narrative hätten großen Einfluss auf die gesellschaftliche Wahrnehmung gehabt. „Für die deutsch-polnischen Beziehungen waren das verlorene Jahre,“ so Stefan Garsztecki.

Die an der Viadrina promovierte Elżbieta Opiłowska fand in ihrer Forschung heraus, dass die lokale, grenzüberschreitende Zusammenarbeit nicht zwangsläufig den Mustern und Konjunkturen der politischen Beziehungen folgen müsse. „Wir haben festgestellt, dass die Beziehungen auf der regionalen und lokalen Ebene eher resilient sind“, so Elżbieta Opiłowska. Für diese Resilienz seien vor allem die europäische Integration und europäische Projekte von Bedeutung gewesen. Dennoch ließe sich in den letzten Jahren beobachten, dass das gesellschaftliche Interesse aneinander abnehme.

Dabei spiele eine Rolle, dass die Euphorie der Osterweiterung vorbei sei, so Stefan Garsztecki. Ergänzt: „Wir müssen uns mehr Mühe geben; das gilt für beide Seiten, den Nachbarn zu verstehen.“ Auf Nachfrage Timm Beichelts, ob eine gewisse Normalisierung nicht mit dazugehöre, antwortet Elżbieta Opiłowska, dass die Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehung zwei Seiten habe. Einerseits bedeute dies eine gewisse Stabilität der Beziehungen. Andererseits führe es auch dazu, die guten Beziehungen als selbstverständlich anzusehen und weniger Anstrengungen zu unternehmen. „Enthusiasmus und Wissbegierde haben auf beiden Seiten nachgelassen“, so Elżbieta Opiłowska.

Dabei spielten auch gemeinsame Zukunftsprojekte eine Rolle, wie beispielsweise ein nötiger Ausbau der Zugstrecke zwischen Warschau und Berlin mit einer Hochgeschwindigkeitstrasse. Gemeinsam in die Zukunft zu blicken, sei laut Stefan Garsztecki wichtiger, als sich in Konflikten über Reparationen zu verlieren. Denn diese seien juristisch oft nicht haltbar, wenn auch moralisch mehr als gerechtfertigt. Die Forderung nach besserer Infrastruktur unterstützt auch Klaus Ziemer, bekräftigt aber die Wichtigkeit von Wiedergutmachung, die sehr unterschiedlich aussehen könnte. „Wir sollten die noch lebenden Opfer so leben lassen, dass sie materiell keine Sorgen haben“, so Klaus Ziemer. In den deutsch-polnischen Beziehungen läge viel Potenzial um diese weiterzuentwickeln. Stefan Garsztecki kommt an Klaus Ziemer gerichtet zu dem Schluss: „Klaus, es tut mir leid, du musst noch weiterarbeiten, es gibt noch sehr, sehr viel zu tun.“

Text: Lea Schüler
Fotos: Heide Fest

Beitrag über die Verleihung des Viadrina-Preise an Prof. Dr. Klaus Ziemer

Beitrag über die Verleihung des Förderpreises an die Students for Climate Justice

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