Im Spannungsfeld zwischen Aufbruch und Beharren – Podiumsgespräch über gute Hochschulleitung
„Was ist gute Hochschulgovernance?“ Um diese Frage kreiste ein Podiumsgespräch im Logensaal am 30. Januar 2025 anlässlich der 25-jährigen Vizepräsidentschaft von Janine Nuyken an der Viadrina. Angesichts der aktuellen Umbrüche im Hochschulwesen insgesamt und im Speziellen an der Viadrina ging es um Identität mit der Universität, die Waage zwischen Aufbruch und Kontinuität, um den Dialog mit Studierenden und die Freude an der Zusammenarbeit mit anderen Menschen als notwendige persönliche Eigenschaft in der Hochschulleitung.
„Mein Herz ist voll, es läuft ein bisschen über.“ Mit diesen Worten beschloss Janine Nuyken die Veranstaltung zu Ehren ihrer 25-jährigen Amtszeit als Vizepräsidentin der Viadrina. Zum vollen Herzen haben nicht zuletzt die lobenden Worte beigetragen, die an diesem Nachmittag fielen. Von ihrer „unbändigen Freude an der gemeinsamen Arbeit“ berichtete Viadrina-Präsident Prof. Dr. Eduard Mühle. Er schätze ihre kluge und ausgleichende Art in Konflikten, ihre bodenständige und zupackende Arbeitsweise. In einer von großer Zuneigung geprägten Laudatio hob Prof. Dr. Gesine Schwan, die Janine Nuyken 2000 als ihre Vizepräsidentin vorgeschlagen hatte, neben vielen anderen Eigenschaften deren „visionäre Kraft“, „fundamentale Fairness“ und die „einzigartige Mischung aus Selbstverständlichkeit, Beharrlichkeit, kritischem Sinn und Widerspruchsfähigkeit“ hervor. Neben all dem Lob hatte Gesine Schwan einen Stoff-Blumenstrauß mitgebracht, den Janine Nuyken ihr zum 65. Geburtstag von der Bühne entgegengeworfen hatte. „17 Jahre lang hatte er einen Ehrenplatz in meiner Wohnung, jetzt gehört der Blumenstrauß dir", sagte die einstige Präsidentin zu ihrer Vizepräsidentin, bevor sie den Strauß durch den Logensaal warf.
Podiumsdiskussion über gute Hochschulgovernance und Festveranstaltung für 25 Jahre Vizepräsidentschaft von Janine Nuyken
Doch in der Veranstaltung sollte es ausdrücklich nicht nur um die persönlichen Eigenschaften von Janine Nuyken gehen. Vielmehr war es das Anliegen von Eduard Mühle, die Ehrung seiner Vizepräsidentin mit einem Gespräch darüber zu verbinden, was das denn eigentlich sei: gute Hochschulgovernance? Auf dem Podium saßen dafür neben Janine Nuyken die Präsidentin der Technischen Hochschule Wildau, Prof. Dr. Ulrike Tippe, der Stiftungsratsvorsitzende der Viadrina, Prof. Dr. Gerhard Sagerer und Viadrina-Studentin Ira Helten, die nur einen Tag zuvor zum ersten studentischen Mitglied des Präsidialkollegiums gewählt worden war.
Gerhard Sagerer, der unter anderem seine Erfahrung als ehemaliger Rektor der Universität Bielefeld einbrachte, betonte, dass gute Hochschulgovernance bedeute, alle Statusgruppen ernst zu nehmen: von Studierenden, über den wissenschaftlichen Mittelbau und die Verwaltung bis zu den Professorinnen und Professoren. Nicht-professorale Gruppen würden, so seine Erfahrung, häufig unterschätzt, dabei sei bei ihnen die Identität mit der Hochschule und damit die institutionelle Verantwortung häufig am ausgeprägtesten. Er forderte: „Mut und Vertrauen gerade in unsere Studierenden, Doktorand*innen und all die, die die Universität auch tragen.“
Wie dies in einer Neufindungszeit gelingen kann, davon berichtete Prof. Dr. Ulrike Tippe aus ihrer Erfahrung als Präsidentin der TH Wildau. Angesichts sich auflösender Gewissheiten – als Stichpunkte nannte sie die Digitalisierung der Lehre und das lebenslange Lernen – müssten sich Hochschulen neu definieren, um weiterhin attraktive Studienbedingungen bieten zu können. Das fordere Hochschulleitungen in besonderem Maß heraus. „Hier sind wir in erster Linie als Menschen gefragt“, umriss sie ihr Rollenverständnis. „Es nutzt nichts, wenn ich als Präsidentin aufgescheucht durch die Gegend laufe; ich muss Ruhe und Kontinuität ausstrahlen“, so Tippe. Zugleich erwarten aktuelle und künftige Studierende, dass sich etwas ändert. „Dieses Spannungsfeld zwischen Aufbruch und Beharren zu bedienen, finde ich sehr herausfordernd“, gab sie zu.
Bei solchen Prozessen den Dialog mit der Studierendenschaft nicht zu verlieren, war einer der Punkte, mit denen sich Ira Helten in die Diskussion einbrachte. „Wir sind die größte Statusgruppe; wir sollten eine große Rolle spielen“, stellte sie klar. Die an der Viadrina neu geschaffene Position eines studentischen Mitglieds im Präsidialkollegium, die sie gern und mit hohen Ansprüchen erfülle, ersetze nicht den nötigen kontinuierlichen Dialog mit Studierenden in allen Gremien und auf allen Ebenen, so ihre Argumentation.
Der Dialog mit allen Gruppen an der Universität ist eine Aufgabe, die auch Janine Nuyken als Teil der Hochschulleitung sehr ernst nimmt. Dabei auftauchende Konflikte seien für sie „überhaupt nichts Schlimmes“. Als ausgebildete Mediatorin weiß sie: „Der Schlüssel sind die Interessen hinter dem Konflikt, also das, was den Menschen wirklich wichtig ist. Diesen Schritt gehen wir oft nicht, wir werten gleich, bevor wir das überhaupt rausgefunden haben.“ Ein wichtiger Faktor für gelingende Hochschulleitung liege für sie in der grundlegenden Freude, mit Menschen zusammenzuarbeiten. Gesine Schwan schrieb ihr im Umgang mit anderen Menschen eine „manisch-konstruktive“ Neigung zu.
Es ist eine Neigung, die die Hochschulleitung angesichts der anstehenden Reformprozesse gut gebrauchen kann, das wurde an diesem Nachmittag deutlich. „Gute Hochschulgovernance braucht genau dieses Temperament“, befand Eduard Mühle. Er kündigte an, die Viadrina wieder ein bisschen mehr zu der Einrichtung machen zu wollen, die sie war, als Janine Nuyken im Jahr 2000 zur ersten nichtprofessoralen Vizepräsidentin gewählt wurde. „Wir haben uns auf den Weg gemacht, die Viadrina zu entnormalisieren“, sagte er. Für die angekündigten „mutigen Entscheidungen“ und „unkonventionellen Wege“ wähnt er mit Janine Nuyken die Richtige an seiner Seite.
Frauke Adesiyan
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