30 x Viadrina & ich: Die Europa-Universität als Sprungbrett nach Brüssel
In der Reihe „30 x Viadrina & ich“ erzählt Sophie Falsini, MES-Absolventin und Analystin bei den Vereinten Nationen in Brüssel, von der bewussten Entscheidung, an einer kleinen Uni ihren Fokus auf Osteuropa, Migration und Menschenrechte zu legen. Anlässlich von 30 Jahren Europa-Universität berichten 30 Menschen – vom Erstsemester bis zur emeritierten Professorin – welche Rolle die Viadrina in ihrem Leben spielt.
Halb Italienerin, halb Deutsche ist Sophie Falsini auch in Sachen Studium: Sie absolvierte in Mailand ihren Bachelor in Internationalen Beziehungen und Sprachwissenschaften, mit dem Schwerpunkt Russisch. Ein Professor empfahl ihr dann, sich für einen Master an der Viadrina zu bewerben. Das passte in Sophies Pläne, da sie eine kleinere Universität mit direkten Beziehungen zu den Professorinnen und Professoren sowie anderen Studierenden suchte. Bevor sie an die Oder kam, verbrachte sie 2014 ein Jahr in Russland. Sie studierte zuerst in St. Petersburg und machte danach journalistische Praktika in Moskau. „Das war eine sehr interessante, aber auch komplizierte Zeit, als die Krise in der Ukraine ganz langsam losging“, erinnert sie sich heute.
An der Viadrina stärkte sie durch die gezielte Auswahl der Kurse und Seminare ihren Fokus auf Osteuropa und Migration. Sie zog an die Oder, weil sie nicht jeden Tag zwei Stunden im Zug verbringen wollte. Auf diese Weise gewann sie einen kleinen Freundeskreis, der ihr auch geholfen hat, an der Uni zurecht zu kommen. „Als Halbitalienerin war es für mich sehr gut, eine Gruppe von Deutschen um mich zu haben. Sie konnten mir erklären, wie man in Deutschland studiert und Hausarbeiten schreibt. Eine kleine Uni, wie die Viadrina, hat mir das Studieren einfacher gemacht, weil ich immer direkt fragen konnte: Was muss ich machen, damit es richtig ist?“
Sophie Falsini: Alumna und Analystin für Forschung und Politik beim Kapitalentwicklungsfonds der Vereinten Nationen in Brüssel, Foto: Mercator
Die Lage an der Grenze fand sie sehr interessant – vorher hatte sie gar keinen Kontakt zu Polen gehabt. „Es war für mich eine ganz neue Perspektive, dass man über eine Brücke geht und in einem anderen Land ist. Ich habe das oft genutzt und Ausflüge gemacht – das war für mich ganz besonders an diesem Ort“, erzählt sie. Sophie engagierte sich bei den Aktivitäten von Amnesty International an der Viadrina und besuchte verschiedene Veranstaltungen und Vorlesungen zu den Themen Migration und Flucht. Bei einer Lesung traf sie den ukrainischen Schriftsteller Serhij Zhadan; eins seiner Gedichte hat sie später als Intro bei ihrer Masterarbeit verwendet.
Für diese Masterarbeit, die sie bei Prof. Dr. Timm Beichelt und Dr. Susann Worschech schrieb, ist Sophie 2016 für einige Monate in die Ukraine gefahren und hat dort mehrere Städte besucht. Sie suchte Antworten auf die Frage, wie die Zivilgesellschaft in der Ukraine Menschen helfen kann, die innerhalb des Landes, beispielsweise von der Krym und aus dem Donbas, in andere Städte flüchten mussten. Sie führte dafür viele Interviews mit Geflüchteten und mit Vertreterinnen und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen. Im Rückblick beschreibt sie diese Gespräche als sehr spannend, teilweise aber auch sehr kompliziert und frustrierend.
Während ihres Aufenthaltes in Russland vor dem Studium hat sie dort viele tolle Menschen kennengelernt. Nun baute sie auch persönliche Beziehungen in der Ukraine auf. Neutral zu bleiben fiel ihr nicht leicht: „Es tat weh, als ich mit den Betroffenen gesprochen habe, wenn ich gesehen habe, wie sie wohnen, wo die Kinder unterkommen, wie die Flüchtlingslager aussahen, welche Probleme die Hilfsorganisationen hatten. Ich war dort im Winter: Es war sehr kalt, sie hatten keine Heizung. Es war wirklich auch sehr emotional. Und das durfte ich natürlich in meiner wissenschaftlichen Masterarbeit nicht einfließen lassen“, sagt sie. Aus damaliger Sicht auf die Ukraine hätte sie nie geglaubt, dass es so weit kommt. „Euromajdan, dann die Coronakrise und jetzt der Krieg – die Menschen sind sehr, sehr unter Druck. Man findet einfach nicht die richtigen Worte, um das zusammenzufassen.“ Ihre Masterarbeit ist schließlich als Buch mit dem Titel „The Euromaidan’s Effect on Civil Society. Why and How Ukrainian Social Capital Increased after the Revolution of Dignity” erschienen.
Nach dem Studium führte ihr Weg direkt nach Brüssel – mit vielen unterschiedlichen Stationen. Nach einem sechsmonatigen Praktikum bei der Generaldirektion Justiz und Verbraucher (JUST) der Europäischen Kommission arbeitete sie im EU-Afrika-Union-Ausschuss der Ständigen Vertretung Österreichs in Brüssel. Von den intensiven Verhandlungen innerhalb der EU zu den Themen Migration, Entwicklung, Menschenrechte, Demokratie und Wahlen habe sie viel gelernt. Anschließend kehrte sie zur Kommission zurück, dieses Mal als Sachbearbeiterin Koordinatorin für Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen (NEAR) in der Zusammenarbeit der EU mit Nordafrika und Osteuropa. Als Stipendiatin der Mercator-Stiftung forschte sie unter anderem in Kenia und Uganda zur finanziellen Inklusion von Frauen im globalen Süden.
Für ihren heutigen Arbeitgeber, den Kapitalentwicklungsfonds der Vereinten Nationen (UNCDF) war sie zunächst im westafrikanischen Gambia tätig. Inzwischen ist sie im Brüsseler Büro des Fonds Analystin für Forschung und Politik. Sie begleitet Regierungen aus den Ländern des Subsahara-Afrika mit dem Ziel, Frauen einen besseren Zugang zu finanziellen und produktiven Ressourcen zu ermöglichen. Sophie Falsini ist für Forschung zuständig und reist oft in verschiedene Länder Afrikas, um die Situation vor Ort zu erfassen und zu analysieren. „Ich wollte immer eine Erfahrung in Brüssel machen, da ich näher an so vielen Institutionen sein wollte. Allerdings hatte ich nie geplant, so lange hier zu bleiben. Letztes Jahr war ich 8 Monate in Afrika und durch meine jetzige Stelle reise ich sehr oft dorthin. Daher freue ich mich immer, wenn ich mich im Brüsseler Wald entspannen kann“, so fasst sie ihre aktuelle Lebenssituation zusammen.
Wenn sie an das Studium an der Viadrina zurückdenkt, findet sie: „Es war eine sehr gute Zeit. Ich konnte meine Augen etwas mehr öffnen. In Italien war mein Studium viel theoretischer als in Deutschland. Diese Praxisnähe hat mir geholfen, ins Berufsleben reinzukommen. Die kleine Uni, die direkte Beziehung zu den Professorinnen und Professoren, da konnte ich meine Interessen einfach weiterentwickeln.“ Kritische Fragen stellen zu dürfen und wirklich offene Gespräch zu führen, das sind nur zwei Dinge, die sie von der Viadrina mitnimmt.
(AL)