30 x Viadrina & ich: „Wenn man gute Ideen hat, hat man an der Viadrina maximale Freiheiten.“
In der Reihe „30 x Viadrina & ich“ lobt BWL-Professorin Sonja Wüstemann die familiäre Atmosphäre der Viadrina und erzählt, warum sinkende Studierendenzahlen ein Treiber von Innovation sein können. Anlässlich von 30 Jahren Europa-Universität berichten 30 Menschen – vom Erstsemester bis zur emeritierten Professorin – welche Rolle die Viadrina in ihrem Leben spielt.
Mit der Europa-Universität hatte Prof. Dr. Sonja Wüstemann bis zu ihrer Berufung zur Professorin für Rechnungslegung und Controlling im Jahr 2012 keine persönliche Erfahrung gemacht. Wohlgefühlt hat sie sich in Frankfurt (Oder) aber sofort. „Für mein Berufungsgespräch wurde ich im Senatssaal empfangen – ein prächtiges Gebäude! Während des Gesprächs herrschte eine sehr persönliche Atmosphäre und ich fühlte mich als Mensch und Wissenschaftlerin anerkannt.“
Einen guten Umgang miteinander pflege man auch in der Verwaltung und mit den Studierenden, so Wüstemann: „Es ist eine kleine Universität, man kennt sich, man schätzt sich, es ist ein respektvolles Miteinander auf Augenhöhe. Teilweise begleitet man Studierende vom Bachelor bis zum Masterabschluss. Ich finde, das hat viele Vorteile.“ Die familiäre Atmosphäre sei mit ein Grund gewesen, den Ruf an eine andere Universität, den sie 2018 erhielt, abzulehnen und an der Viadrina zu bleiben.
Arbeitet seit 2012 an der Viadrina: Wirtschaftsprofessorin Dr. Sonja Wüstemann, Foto: Heide Fest
Inhaltlich besetzt die Wirtschaftsprofessorin, die zuvor an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main tätig war, zwei Themen an der Viadrina: Controlling und Rechnungslegung. Wie Unternehmen oder Gebietskörperschaften über ihre finanzielle Lage, über Vermögen und Schuldenlage Bericht erstatten – ist das nicht ein furchtbar trockenes Thema? „Ganz und gar nicht“, widerspricht Wüstemann. „In diesem Themenfeld gibt es für junge Menschen mit guten Ideen sehr viele Möglichkeiten für Engagement und Forschung, denn das System der öffentlichen Rechnungslegung ist total veraltet. Es braucht hier dringend Reformen und es muss mehr Transparenz geschaffen werden.“ Die Frage etwa, wie es gelingen kann, keine Schulden zu Lasten der nachfolgenden Generation zu hinterlassen, sei ein „hochaktuelles, sehr spannendes Thema“. Und das 2021 verabschiedete Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz mache deutlich, dass gerade in den letzten Jahren die Rechnungslegung immer stärker mit den Themen Menschenrechten, Umweltschutz und Nachhaltigkeit allgemein verknüpft werde. „Durch die entsprechende Gestaltung des Lehrangebotes kann ich an der Viadrina meinen Studierenden zeigen, dass es auf meinem Gebiet der Betriebswirtschaftslehre um weitaus mehr geht als nur um Bilanzen.“
Ihr Fachwissen und ihre Kompetenz bringt Wüstemann auch in der akademischen Selbstverwaltung ein: Seit 2015 hat sie an der Viadrina den Vorsitz der Senatskommission Planung und Finanzen inne. Über die Jahre und speziell seit der Haushaltskrise sei ein Trend an der Viadrina und generell in der Hochschullandschaft hin zu mehr Berichtspflichten und Kontrollen zu beobachten. „Man könnte es auch eine Professionalisierung der Verwaltung nennen“, so Wüstemann. Trotzdem sei es wichtig, Flexibilität zu erhalten, um auf neue Herausforderungen angemessen reagieren zu können – wie beispielsweise auf die in den vergangenen Jahren abnehmenden Studierendenzahlen: „Das sollte ein Ansporn sein, neue, innovative Produkte zu entwickeln. Denn ich möchte, dass wir in Zukunft unser Angebot nicht verkleinern müssen.“ Dazu gehört für sie, in der Lehre verstärkt auf Digitalisierung zu setzen.
Neuer Studiengang startet im Wintersemester
Aber es gelte, auch das Lehrangebot an die Anforderung der Gesellschaft anzupassen: Gemeinsam mit zwei Kollegen hat Sonja Wüstemann den dualen Bachelor für Wirtschaftsprüfung ins Leben gerufen. Er startet zum Wintersemester 2022/23 und ist nicht nur an der Viadrina der erste duale Studiengang, sondern bundesweit der einzige in diesem Fach an einer Universität. „An den eingegangenen Bewerbungen sehen wir, dass die Nachfrage groß ist“, unterstreicht Wüstemann. Sie freut sich, dass sie beim Aufbau des Studiengangs so viel Unterstützung erhielt. „Wir haben offene Türen eingerannt. Wenn man gute Ideen hat, wird man an der Europa-Universität immer unterstützt und hat maximale Freiheiten.“
„Ja, ich fühle mich hier an der Viadrina sehr wohl“, bilanziert Wüstemann. Lediglich eine Sache würde sie gerne ändern: „Auf dem Campus könnte mehr los sein.“ 2002/2003 absolvierte sie während ihres Studiums ein Auslandsjahr an der École Supérieure des Sciences Économiques et Commerciales (ESSEC) in Paris. Dort verbrachten die Studierenden einen großen Teil ihrer Freizeit auf dem Campus, engagierten sich in studentischen Vereinen, trieben gemeinsam Sport. „Das machte viel Spaß und förderte das Gemeinschaftsgefühl. In Frankfurt ist dagegen abends nicht viel los, viele Lokale sind unter der Woche geschlossen und die Viadrina bietet den Studierenden wenig Freizeitangebote“, findet Wüstemann.
Für die Viadrina wünscht sie sich, dass die Hochschule, so wie sie ist, auch in Zukunft bestehen kann.
(YM)