30 x Viadrina & ich: „Ich wollte mich nie auf ein Land beschränken“

In der Reihe „30 x Viadrina & ich“ erzählt Pola Ostałowska von ihrem deutsch-polnischen Jurastudium, dass ihr Selbstvertrauen an der Viadrina wuchs und wie ihr hart erarbeitetes Auslandssemester ein abruptes Ende fand. Anlässlich von 30 Jahren Europ­­­­­­­­­a-Universität berichten 30 Menschen – vom Erstsemester bis zur emeritierten Professorin – welche Rolle die Viadrina in ihrem Leben spielt.

Die ganze Strecke des RE1 ist Pola Ostałowska im Herbst 2017 von ihrer damaligen Heimatstadt Magdeburg nach Frankfurt (Oder) gefahren, um den polnischen Infotag der Viadrina zu besuchen. Spätestens, als in Berlin die vielen Studierenden zustiegen, wusste sie: bald wird sie eine von ihnen sein. „Ich hätte mich am liebsten schon im Zug eingeschrieben“, sagt sie fünf Jahre später, während sie auf dem Dach des Collegium Polonicum in einem Liegestuhl sitzt und sich immer wieder die langen dunklen Haare nach hinten streicht, die ihr der Sommerwind ins Gesicht weht.

POla_600 ©René Matschkowiak

Neben ihrem Studium arbeitet Pola Ostałowska im Collegium Polonicum, Foto: René Matschkowiak


Vieles passte für sie genau an der Viadrina: eine überschaubare Stadt mit kurzen Wegen, das außergewöhnliche deutsch-polnische Jurastudium, das sie von den vielen anderen angehenden Juristinnen und Juristen abheben würde, und die Nähe zu Polen – dem Land, in dem sie 14 Jahre ihres Lebens verbracht hatte, bevor die Eltern entschieden, nach Deutschland auszuwandern. „Ich wusste schon lange, dass es Jura sein soll; ich wusste aber auch, dass ich mich in meiner Zukunft nicht auf ein Land beschränken möchte“, schaut sie zurück. Nicht zuletzt wollte sie sich „eine kleine Tür nach Polen“ für ihre Zukunft offenhalten.

Auch heute ist sie davon überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Die Person, die so selbstsicher und zielgerichtet von ihrem Studium und ihren Plänen berichtet, war sie nicht immer. In ihrer Klasse am Magdeburger Gymnasium sei sie „die einzige Ausländerin“ gewesen, erzählt Pola. Damals habe sie an sich gezweifelt, war sich nicht sicher, ob sie ein Studium meistern könnte. In ihrer Familie ist sie die erste mit Abitur, vom Studium kann ihr aus eigenem Erleben niemand erzählen. Doch an der Viadrina merkt sie schnell, dass Fleiß, Durchhaltevermögen und Zielstrebigkeit mehr wert sind als jedes akademische Elternhaus. Sie arbeitet gezielt an ihrem Selbstbewusstsein, bringt sich aktiv in der Initiative Viadrina Consulting Group ein, arbeitet am Lehrstuhl eines ihrer Professoren und betreibt unter dem Namen „studyourlaw“ zusammen mit weiteren Studierenden die Social-Media-Kanäle ihres Studiengangs. „Ich bin hier selbstständig und unabhängig geworden“, sagt sie heute stolz. Nicht zuletzt dank ihrer Arbeit und einem Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes steht sie auf eigenen Beinen.

Im vergangenen Semester will sie sich dann einen Traum erfüllen, der zum Standard an der Viadrina gehört, unter ihren Mitstudierenden des deutsch-polnischen Rechts aber sehr selten ist: Sie plant ein Erasmus-Auslandssemester. Akribisch arbeitet sie sich durch die Prüfungsordnung, um zu planen, wie sie ins Ausland gehen kann, ohne ein Semester wiederholen zu müssen. Sie zieht vier Lehrveranstaltungen vor, schreibt bis kurz vor dem Abflug Prüfungen, plant für Klausuren auf Stippvisite zurückzukommen. Dann landet sie in St. Petersburg und wenige Tage später beginnt Russland seinen Angriffskrieg in der Ukraine. Einige Tage hält sie die Ungewissheit aus. Sie vergleicht, was oppositionelle und staatliche Medien berichten, redet mit Kommilitoninnen und Kommilitonen über deren Einschätzungen. Einen Tag bevor das Mediengesetz in Kraft tritt, das verbietet, den Krieg „Krieg“ zu nennen, verlässt Pola Ostałowska Russland und fliegt zurück nach Deutschland. Ihre Begründung klingt sehr rational: „Ich wollte nicht, dass mir irgendwann ein Job verweigert wird, weil ich zur Zeit des Krieges in Russland war. Ich wollte nicht, dass es heißt, ich unterstütze das Regime, indem ich mich dort aufhalte und dort auch mein Geld ausgebe.“

Zurück an der Viadrina beginnt für sie, die so viel dafür investiert hat, ins Ausland zu gehen, das „härteste Semester“ ihres Studiums. „Ich stand vor dem Nichts“, kommentiert sie rückblickend ihre Lage. Die gewünschten Sprachkurse kommen entweder nicht zustande oder sind überfüllt. Für ein spontanes Praktikum ist es zu spät. Zu den Schwierigkeiten im Studium kommt die Sorge über die politische Situation und den Kriegsverlauf. Sie liest in dieser Zeit alles über den Konflikt und über Russland, was sie finden kann, will verstehen, was dort passiert. Und sie unterstützt gezielt alternative russische Medien. „Wenn wir die Oppositionsbewegung nicht unterstützen, wird das kein Ende nehmen“, ist sie überzeugt. Nicht zuletzt stellt der Krieg auch ihre Vorstellungen von der eigenen Zukunft in Frage. Wird es noch gefragt sein, Russisch zu sprechen? Wie sehen die Beziehungen innerhalb von Osteuropa künftig aus, die bislang eine zentrale Rolle in der Vorstellung über ihre berufliche Zukunft gespielt haben? „Letztendlich hat mir das alles gezeigt, wie fragil unser System, wie fragil der Frieden ist.“

Ihr ungeplantes Viadrina-Semester nutzt sie schließlich für eine Erfahrung, die ihr noch gefehlt hat: Sie kandidiert für das Studierendenparlament und wird mit dem zweitbesten Ergebnis gewählt. Nun wird sie neben der Vorbereitung ihres Masters, ihren Jobs als studentische Hilfskraft und dem Engagement in den studentischen Initiativen auch noch Hochschulpolitik betreiben. Wenn sie hin und wieder Zweifel beschleichen, liest sie auf der Seite ihres Studiengangs die „Erfolgsgeschichten“ von ehemaligen Studierenden und denkt sich: „Die haben das geschafft, warum sollte ich das nicht tun?“

(FA)

Dieser Text ist der 23. Teil der Serie „30 x Viadrina & ich“.
Die bereits erschienenen Beiträge können hier nachgelesen werden. In den nächsten Beiträgen erzählen Prof. Dr. Sonja Wüstemann und Student Kevin Kobs von ihren Erfahrungen. Die Texte erscheinen jeweils in der Rubrik „30 Jahre Viadrina“ im Viadrina-Logbuch.

Kontakt

Abteilung für
Hochschulkommunikation
Tel +49 335 5534 4515
presse@europa-uni.de

Sitz:
Hauptgebäude
Räume 114-117, 102

Postanschrift:
Große Scharrnstraße 59
15230 Frankfurt (Oder)

Steckbrief

Logo_EUV_30_Anniversary_190px ©EUV

Name:
Pola Ostałowska

An der Viadrina bin ich seit:
dem Wintersemester 2018/19.

Das mache ich hier:
Ich absolviere das deutsch-polnische Jurastudium.

Die Viadrina ist für mich:
der perfekte Ausgleich zwischen Zuhause und Abenteuer.